Täuschend echte Bilder aus Schnipseln und Perfektionismus
Zwei Gesichter richten von der Wand des Remchinger Rathausfoyers einen starren Blick auf die Besucher, die das Gebäude durch den Haupteingang betreten. Es sind die Gesichter von Frauen, die täuschend echt wirken, wie auf einer Fotografie. Und doch stecken dahinter zwei Kunsttechniken, die unterschiedlicher kaum sein könnten, wie am Dienstagabend die Vernissage einer neuen Kunstausstellung verdeutlichte.
Das große, bunte Bild stammt aus der Sammlung „zerfetztundzugeklebt“ von Alina Kretschmer. Die 26-Jährige, die einige Jahre in Remchingen verbrachte und jetzt in Pfinztal wohnt, hat es aus zahlreichen Zeitschriften-Schnipseln zusammengesetzt. Unter dem Titel „Arielle“ zeigt es eine Frau, deren rotbraune Haare hinter einem Meeresriff mit den Wellen strömen, während um sie herum Fische und Delfine schwimmen. Der Kopf wirkt von Weitem wie eine Einzelaufnahme – bei genauem Hinsehen erkennt man die einzelnen Schnipsel, die Kretschmer mit einer winzigen Schere filigran aus vielen ausgelesenen Zeitschriften ausgeschnitten und auf eine Leinwand geklebt hat. „Meist sind das ausgelesene Fashionmagazine oder Zeitschriften, die ich stapelweise von Bekannten bekomme und als Upcycling wiederverwende“, verdeutlicht die Künstlerin, die als Erzieherin in einem kommunalen Kindergarten in Berghausen arbeitet. Nur selten müsse sie sich eine spezielle Zeitschrift besorgen – wie etwa ein Prospekt aus der Zoohandlung für die vielen Fische.
Kajsa Imm dagegen nutzt Kohle, Blei- und manchmal auch Buntstifte, um ihre Bilder aufs Papier zu bringen. „Realismus – täuschend echt“ heißt ihr Ausstellungsteil, der dank dem außergewöhnlichen Perfektionismus der Künstlerin geradezu an mit Künstlicher Intelligenz generierte Aufnahmen erinnert. Doch sie alle sind handgefertigte Zeichnung der 24-Jährigen Bauingenieurin aus Königsbach-Stein, die mittlerweile in Freiburg wohnt und im Tiefbau tätig ist. „Schon als Kind hat es mich fasziniert, täuschend echte Bilder zu zeichnen – auch wenn ich oft Stunden daran sitze.“ Nicht nur Portraits gehören zu ihren Werken, die ebenso wie die von Kretschmer zu verkaufen sind: So hängt vor den Büros des Bauamts eine ganze Reihe täuschend echter Menschenherzen.
Aufgrund zahlreicher Bewerbungen für Ausstellungen im Remchinger Rathaus – die Anfragen reichen mittlerweile bis Mitte 2027 – hatte sich die Gemeinde entschieden, die beiden Künstlerinnen, die sich zuvor nicht kannten, gemeinsam ausstellen zu lassen. Das sorgt nun für eine besondere Symbiose. Außer der Leidenschaft zur Kunst haben die beiden eines gemeinsam: Neben dem Anstoß durch den Schulunterricht und einen kurzen Kurs haben sie sich ihre Techniken komplett selbst beigebracht. „Es ist beeindruckend, welche Vielfalt die beiden Künstlerinnen schon in jungen Jahren geschaffen haben“, freute sich Bürgermeisterin Julia Wieland (parteilos) bei der Vernissage, die Chantal Richard und Carolin Carl von der Musikschule Westlicher Enzkreis an E-Piano und Klarinette mit Intermezzi von Charles Stanford umrahmten. Die Bilder sind einige Wochen zu den Rathausöffnungszeiten zu sehen.
jza
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